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Dreckige Weihnachten

Tach auch.

Hey, ist Weihnachten nicht der absolute Oberhammer?

Ach so, man stellt sich ja wohl erst mal vor. Also, mein Name ist Andreas, ich bin - naja, mein Alter weiß ich gar nicht so genau, stellt euch am Besten einfach vor, ich bin genauso alt wie ihr.
OK, damit wäre das Formale ja wohl erledigt, jetzt kommen wir zum Thema.
Nämlich WEIHNACHTEN! Ihr wisst sicher, wie man das schreibt, oder? Ich nämlich nicht, sonst würde ich es euch auch noch buchstabieren. Damit ihr es auch ja begreift.
Äh... ihr wisst doch, was Weihnachten ist, oder?
Nein, Quatsch, ich meine doch nicht die Sache mit dem Tannenbaum und den Kerzen und Plätzchen und Geschenken und so. Also, komisch, dass ihr Leute immer davon anfangt! Übrigens: was ist eigentlich ein Tannenbaum? - Naja, aber das gehört ja jetzt nicht zur Sache.
Also, ich meine das Ding mit dem Baby. Ja, richtig, mit dem kleinen, sabbernden Baby mit den vollgeschissenen Windeln. Ihr wisst sicher schon, welches Baby ich meine, und vielleicht findet ihr es lästerlich, von dreckigen Windeln und Babyspucke zu reden, aber - es entspricht einfach den Tatsachen!
Ich meine, warum sollte ich das verschweigen? Hey, er war doch ein ganz gewöhnliches Baby wie alle Babys auf der ganzen Welt. Nee, natürlich nicht, aber eben auch doch... Naja, das kann man mit dem Kopf nicht verstehen - also, jedenfalls ich nicht...
So, ich glaube, jetzt seid ihr alle so verwirrt, dass ich mich wohl doch mal konzentrieren muss und richtig erzählen.
Also, ich will euch jetzt gar nicht mit den alten Geschichten langweilen, die ihr wahrscheinlich bloß mit einem "Schon wieder!"-Aufseufzer über euch ergehen lassen würdet... nee, sondern ich will mal einfach erzählen, wie es mir so ganz persönlich in der Sache gegangen ist.
Ja, also angefangen hat alles auf dem Feld. Wir Hirten sind ja, wie ihr vielleicht wisst, nicht sehr angesehen gewesen. Na, es gab da auch ein paar ganz schöne hardcore-Geschichten - einige Leute hatten schon ein ganz ansehnliches Vorstrafenregister - na, wenn's das damals schon... na, ihr versteht mich.
Ähm, wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Also, ich meine, nicht dass ich mich irgendwie hervorheben wollte oder so, aber - also, was richtig Schlimmes habe ich eigentlich noch nie gemacht gehabt. Außer vielleicht so ein, zwei Notlügen und wenn ich blöde Witze über jemand anderen gemacht hab' - also, wer jetzt so eine Bekehrungsgeschichte mit 180°-Wende hören will, kann schon mal gleich rausgehen!
So, jetzt komme ich aber wirklich zur Geschichte.
Wir waren auf dem Feld und haben unsere Schafe gehütet - alles wie immer, und dann kam auf einmal diese Art light-show, also, ich meine das mit dem Licht und der Engel und der Engelchor, und wir haben uns furchtbar erschrocken und so weiter, das kennt ihr ja eh alle, und das ist mir hinterher auch eigentlich gar nicht mehr so wichtig gewesen. Naja, wir also los nach Bethlehem, denn was so ein Engel aus dem Himmel sagt, das tut man natürlich, wenn man nicht ganz blöd ist, und außerdem waren wir ja auch schon riesig neugierig.
Tja, und als wir in diesen Stall kamen, fiel mir als erstes nur auf, dass der schon lange nicht mehr ausgemistet worden war, alles schweinedreckig und die Kuh und der Esel - also so was von ungepflegt! Dann habe ich erst mal die Eltern gesehen, und habe sie bemitleidet und bin mal wieder sauer geworden auf die Zustände im Land, dass es erlaubt ist, arme Leute, und vor allem noch eine hochschwangere Frau! in so ein Loch zu stecken und dafür dann womöglich noch 'ne Masse Geld zu verlangen. Ja, aber so richtig wütend konnte ich gar nicht werden, denn die beiden guckten so wahnsinnig glücklich drein, dass sie nicht gerade beklagenswert aussahen...
Naja, und dann... ja, dann hab' ich IHN gesehen. Also, er war wie gesagt wirklich ein ganz normales Baby. Kein Heiligenschein, kein überirdisches Lächeln und lockiges Haar oder so was, kein kluger Blick, der mein Innerstes durchschaute und was weiß ich, was man sich da sonst noch so vorstellt. Nein, er war ein Baby mit einem verschrumpelten, roten Gesicht, und als wir näher kamen, rümpfte er die kleine Nase und fing an zu schreien (vielleicht auch wegen unseres Geruchs, die meisten von uns hatten schließlich seit dem letzten Passahfest nicht mehr gebadet, und Passah ist schließlich im Frühjahr...).
Also wirklich nicht außergewöhnlich. Eigentlich.
Aber er war es doch. Nicht äußerlich, sondern innerlich. Oder - na, ich kann es nicht richtig beschreiben, aber ich habe es gespürt. Ich wusste es einfach, nicht nur, weil der Engel es uns gesagt hatte, sondern auch so.
Dieses Kind, dieses schreiende, schrumpelige, in ein paar alte Lumpen eingewickelte Baby war Gottes Sohn. Ehrlich!
Und als ich das begriffen hatte, bin ich einfach auf die Knie gefallen. Mitten in den Mist, aber das war mir absolut egal. Denn das da vor mir in der Krippe war Gott selbst. Der uns Frieden bringen wollte, wie die Engel vorhin gesungen hatten: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens".
Und ich hätte beinahe losgeflennt. Ehrlich! Weil ich ja doch nicht so ganz fehlerlos war und Gott "wohlgefallen" konnte... vor allem aber, weil ich ihm gar nichts schenken konnte. Ich hätte ihm die Welt geschenkt, mein Leben, alles, wenn ich nur gekonnt hätte. Ich konnte aber nicht. Hey, er war für mich in dieses Dreckloch gekommen, war ein schreiendes kleines Kind geworden, nur für mich, um mir Frieden zu bringen - und ich konnte ihm nichts zurückgeben.
Alles, was ich hatte, waren meine leeren Hände. Und dann starrte ich die ganze Zeit darauf, unter den Fingernägeln waren auch noch schwarze Ränder, und fühlte mich so richtig schön mies.
Bis ich ihn dann wieder angesehen habe, von meinen schmuddeligen Händen weggeguckt auf ihn.
Oh mann, mich überläuft es immer noch, wenn ich dran denke. Das war wie ein Blitzschlag, im ersten Moment wollte ich es gar nicht glauben. Das konnte doch gar nicht sein... Ich habe nämlich auf einmal geschnallt, dass er genau das haben wollte - meine leeren Hände mit dem Dreck unter den Fingernägeln. Also, nicht, dass ich sie abhacken sollte oder so, sondern - naja, so symbolisch. Dass er nichts anderes haben will als mich - mit allem was mir so fehlt und allem, was ich verbocke!
Das ist doch echt der Oberknüller, oder? Na, ihr könnt euch denken, wie irrsinnig froh ich geworden bin. Ich hätte jubeln und singen und tanzen können, alles auf einmal - wäre bestimmt schrecklich gewesen, weil ich nicht singen kann, aber ich hab's ja auch nicht gemacht, weil dann das Kind wieder aufgewacht wäre, wo es doch gerade wieder eingeschlafen war. Den anderen ging es aber genauso, und wir haben das dann später auf dem Feld nachgeholt, da haben uns nur die Schafe gehört.
Aber erzählt haben wir es allen, die es hören wollten - und allen, die es nicht hören wollten auch. Hey, wir KONNTEN das einfach nicht für uns behalten. Und zugehört haben uns die Leute auch, obwohl sie doch sonst immer schleunigst die Straßenseite wechseln, wenn sie uns sehen. Ob sie uns auch geglaubt haben, weiß ich natürlich nicht, aber sie haben zugehört, so wie ihr jetzt, und das ist doch schon mal was.
Seht ihr: DAS ist Weihnachten. Diese unglaublich irrsinnige Tatsache, dass Jesus Dein Herz haben will, egal wie verwirrt und kaputt und schmuddelig es ist, und dass er dafür sogar ein kleines, hilfloses Baby wurde, von ganz gewöhnlichen Eltern in einem schlecht ausgemisteten Stall geboren - nur weil er Dich so unendlich riesig liebt.

So, ich hoffe, ich habe euch nicht zu sehr gelangweilt, aber ich MUSS das einfach allen erzählen, sonst platze ich vor Freude.
Oh, schon so spät! Jetzt muss ich mich aber beeilen, damit ich meinen Zeit-Zug noch erwische...
Also dann, wörtlich:

FRÖHLICHE WEIHNACHTEN! Und tschüss!

© BzN

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